Kann ein Ehemann heilig werden?

 

Ein  alter französischer Dominikaner war er, knochig und hager noch in seinen letzten Jahren, als ich ihn kennenlernte. Was hatte er so im Leben getan? Beichtvater war er gewesen auf einem grossen Stützpunkt für Fallschirmjäger. Ob er da wohl viel zu tun hatte? Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass Fallschirmjäger viel im Beichtstuhl knien. „Die Fallschirmjäger nicht“, meinte er trocken, „aber ihre Ehefrauen schon.“

Was hat die Ehefrau eines Fallschirmjägers zu beichten?

„Das geht Sie nichts an!“ Sünden seien ohnehin etwas besonders Langweiliges, interessanter sei, was man so nebenbei erfahre, vor oder nach dem Sündenbekenntnis: „Herr Pater, Ihnen allein kann ich es sagen, was ich noch niemandem anvertraut habe: Mein Mann ist komisch geworden. Offen gesagt: Mein Mann spinnt.“

Das habe er so oft hören müssen, dass er jetzt meine, alle Ehefrauen seien spätestens nach ein paar Jahren Ehe überzeugt, dass ihr Mann spinne. Alle Ehefrauen? Nein, das wäre ein Vorurteil – gegen die Frauen. Von Zeit zu Zeit sei auch eine in seinen Beichtstuhl gekommen, die das Gegenteil gesagt hat: „Ihnen darf ich es anvertrauen, Herr Pater, Ihnen ganz allein: Mein Mann ist ein Heiliger!“

Ich komme drauf, weil in der Vatikanischen Kongregation für Heiligsprechungen schon wieder etwas  los ist. Gerade ist es gelungen, mit Carlo Acutis einen fünfzehnjährigen Computerfreak zur Ehre moderner Altäre zu erheben. Jetzt scheint der Vatikan zu einem zweiten Coup modernisierter Heiligkeit entschlossen. Statt lauter Mönchen, Nonnen und Päpsten, gilt es, endlich einen modernen Ehemann beispielhaft heiligzusprechen. Zwei hat Rom im Visier: Karl, den letzten Kaiser von Österreich, und Baudouin, den verstorbenen König von Belgien. Warum nun ausgerechnet zwei Monarchen in barock prangenden Uniformen  als Vorbilder moderner Heiligkeit?

Wer diese Frage stellt, scheint nicht zu wissen, was für ein aufwendiges Verfahren eine Heiligsprechung ist. Dass bisher vor allem Mönche und Nonnen heiliggesprochen wurden, erklärt sich leicht. Man braucht dafür einen  Apparat, wie ihn nur die grossen Orden haben, vor allem in Rom einen möglichst gut vernetzten Postulator, ohne den die Heiligsprechung nicht vorankommt. Und dann alle die Honorare für medizinische Gutachten zur Bestätigung der Wunder, Aufwandsentschädigungen für Zeugen, vor allem aber die unzähligen winzigen Gebühren und Taxen im Papierkrieg des vatikanischen Alltags. Nur die ganz grossen Orden konnten sich diesen Aufwand bisher leisten.

Wenn nun ein Ehemann heiliggesprochen werden soll, so muss die Witwe, die das Verfahren anstrengt, sie ganz allein, so gut vernetzt und so gut betucht sein wie, sagen wir mal, der ganze Jesuitenorden. Das trifft auf jeden Fall zu für Zita Maria delle Grazie Adelgonda Micaela Raffaela Gabriella Giuseppina Antonia Luisa Agnese von Bourbon-Parma selig, die fürchtenswerte Witwe Karls, des letzten Kaisers von Österreich. Und sonst noch? Höchstens noch Doña Fabiola Fernanda María de las Victorias Antonia Adelaida de Mora y Aragón selig, die ungewöhnliche Witwe König Baudouins von Belgien.

Doch da ist ein Nachteil: Wo solche Witwen die Heiligkeit ihrer Gatten bezeugen, wird Widerspruch  fast unmöglich. Das muss der Grund sein, warum dem Vatikan, um diese beiden Heiligsprechugen durchzuziehen, eines noch schmerzlich fehlt: ein advocatus diaboli, der vorgeschriebene „Anwalt des Teufels“, der alle Argumente sammelt, die bis zum letzten Augenblick noch die Heiligsprechung sabotieren können.

Wenigstens im Falle König Baudouins stehe ich dem Vatikan als advocatus diaboli honorarfrei zur Verfügung. Die Vorsehung hat es gefügt, dass ich im Jahr 1959 zufällig in Lüttich war, als sich dort mit König Baudouin ein leider vergessener Zwischenfall zutrug,

Zu den vornehmsten Pflichten belgischer Monarchen gehört ein Antrittsbesuch in der „Cité ardente“, in der ruhmreichen Stadt Lüttich. Um seine Verbundenheit mit allen Untertanen, auch mit den schwächsten, zu demonstrieren, ehrte Baudouin diesmal mit seinem Besuch nicht nur die Honoratioren im Rathaus, sondern auch die Insassen einer nahen psychiatrischen Anstalt. Die mitreisenden Medien lobten alle  die zwanglose Art, wie der König mit den Menschen dort  ins Gespräch zu kommen wusste. Doch dann nahte der fatale Augenblick, in dem ein Patient begann, ihm von sich aus Fragen zu stellen: „Wie heissest du?“ Wahrheitsgemäss gab er zur Antwort: „Ich heisse Baudouin.“ Dann eine zweite Frage: „Und was tust du so im Leben?“ Wieder die wahrheitsgemässe Antwort: „Ich bin der König von Belgien.“

„Oioioioioi, oioioioioi, wenn das so ist, dann muss ich dir leider sagen, dass du kaum eine Chance hast, hier so bald wieder rauszukommen.“

Sollte Baudouin jetzt heiliggesprochen werden, fürchte ich als advocatus diaboli einen irreparablen collateral damage in Amerika. Auch Donald Trump liebt ja den leutseligen Umgang mit  seinen Untertanen. Nächstens kommt er auf den Gedanken, ein entsprechendes Etablissement in der Nähe von Mar-al-Lago zu besuchen. Wenn ihn dann dort einer fragt: „Wie heissest du?“ was kann er da anderes sagen als: „Ich bin der Donald.“ Und wenn dann noch die Frage folgt: „Was tust du so im Leben?“ Was soll er da wahrheitsgemäss anderes antworten als „Ich war und bin schon wieder Präsident der Vereinigten Staaten.“

Oioioioioi! Da muss ich dir leider sagen, dass du kaum eine Chance hast, hier jemals  wieder rauszukommen!