„Mami!“ schrie mein Schwesterlein, „Mami, wie siehst du aus!“ - „Mami“, schrie ich so laut, wie ein kleiner Knabe schreien kann, „Mami, was haben sie mit dir gemacht!“
Das war in Zürich mitten in den Kriegsjahren. Wie irgendeine normale Hausfrau, so hatte meine Mutter die Wohnung verlassen: mit einer neugewellten Dauerwelle und im schicken Deux-Pièces. Wie aber war sie jetzt heimgekehrt! Die schöne Dauerwelle plattgedrückt durch einen schweren Stahlhelm, das schicke Deux-Pièces verschwunden hinter einer Art knöchellangem Metzgerschurz. Und warum war sie so ausser Atem? Wir wohnten im zweiten Stock. Einen schweren Kübel voll Sand hatte sie hochtragen müssen und einen Besen dazu. Wozu Sand und Besen? „Das löscht besser als Wasser, hat man uns heute erklärt.“
Irgendeinem in der schweizerischen Armeeführung war aufgefallen, dass noch nicht alle ihren Beitrag leisteten zur Landesverteidigung. Hausfrauen vor allem waren von der Mobilisierung noch nicht erfasst. Jetzt aber war auch meine Mutter einberufen worden zum Einsatz für das, was man damals, wenn ich mich recht erinnere. „Zivilschutz“ nannte.
Warum komme ich drauf? Nicht von selber. Professor Hurrelmann hat mich draufgebracht. Der weltberühmte deutsche Soziologe hat öffentlich Stellung bezogen zur Diskussion um Deutschlands neue „Kriegstüchtigkeit“. Sind doch fast alle militärischen Experten der Meinung, dass der Russe nur darauf wartet, uns möglichst bald anzugreifen. Und so verlangen sie von der Jugend mehr „Kriegstüchtigkeit“.
Zeit, dass Professor Hurrelmann klug und mutig widerspricht. Als Jugendforscher weiss er, wie wenig belastbar die Generation Z ist. Am liebsten „chillt“ sie. „Smombies“ (von Smartphone) werden sie genannt. Manche sprechen auch schon von der „Generation Schneeflocke“. Weil Schneeflocken sich so leicht auflösen. Soll Deutscland wirklich kriegstüchtig werden, so ist auf die Schneeflocken kein Verlass. Professor Hurrelmann, selber 82, weiss Rat: die Rentner müssen ran! Noch sind die Rentner nicht einmal militärisch erfasst. Kaum sind sie verrentet, liegen sie faul herum an südlichen Stränden. „Mit 65 - oder oft genug schon mit 63 - sind die Leute plötzlich nur noch Privat- und Urlaubsmenschen. Was ist denn das für ein Konzept?" fragt streng Professor Hurrelmann.
Ist das ein Vorbild für die Jugend? Ist das ein Beitrag zu Deutschlands Kriegstüchtigkeit? Professor Hurrelmann fordert ein Jahr „Pflichtdienst“ für Rentner.
Da kommt eine grosse neue Aufgabe auf Jens Spahn zu: Gut 20 Millionen Menschen gehören, Mann und Weib, zur Rentnergeneration. Sie müssen nicht nur eingezogen, sondern auch kriegstüchtig ausgerüstet werden. Bestellen Sie, verehrter Spahn, als erstes bei Ihren Lieferanten in der Schweiz 20 Millionen Stahlhelme für Senioren!
Und alle, alle werden sie zurückkommen: aus Tailand, aus den Philippinen, aus Florida und aus Kalifornien, von den Kanaren, von den Balearen. Sie werden, der Jugend ein Vorbild, im Pflichtdienst Schützengräben ausheben, werden von der Oder rückwärts bis zum Kanzleramt gegen die russischen Panzer vielzackige Toblerone-Stolperlinien errichten. Allen voran, furchtlos dem Russen die Stirn bietend, Angela Merkel, die Mutter der Nation, im Stahlhelm.
Bis endlich, irgendwo zwischen Oder und Rhein einer doch aufsteht und jenes Wort der Vernunft spricht, mit dem damals ein Familienvater der Kriegshysterie in einer Dreizimmer-Wohnung in Zürich ein Ende gesetzt hat: „Paula, nimm den Stahlhelm ab! Und Kinder marsch ins Bett!“